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einjahrblau

Tag 21 - verpasster Flug = kein Pazifik

Wir standen gegen 8 Uhr auf um zu frühstücken. Das inbegriffene Frühstück war wahrlich ein Witz. Ein kleiner Klecks Rührei, Schinken ODER Käse, wir hatten Gott sei Dank noch selbst einen Rest Käse von den Nudeln, ein kleines Glas Saft und eine halbvolle Tasse Frühstückstee - den mögen wir so gar nicht. Wir nutzten noch das gute Internet um mal wieder Texte und Fotos hochzuladen, dann packten wir und machten uns fertig. Eric hatte gestern Abend mit Anti-Insektenspray einzelne, von uns ausgewählte Kleidungsstücke imprägniert, damit wir dann besser vor Moskitos und sonstigen fiesen Stichlingen geschützt sind. Heute nahmen wir schon die zweite Malariaprohylaxe, man soll zwei Tage vorher beginnen. Der gestrige Schwindel war heute nicht so stark. Dazu nahmen wir noch eine Art Vitamin B1, die man hier preiswert kaufen konnte. Die hatte uns Diego, den wir am Flughafen kennengelernt hatten, empfohlen. Die nahm hier wohl jeder, weil die Ausdünstungen des Körpers dann anders rochen und Insekten fernhielt. Wir probieren alles! Wir waren mittlerweile so zerstochen und von den Nächten zerkratzt, dass wir bitter an die neuseeländischen Sandfliegen zurückdachten. Schon die hatten z.T. kleine Narben hinterlassen.


Als wir losliefen, regnete es - mal wieder. Aber der Flughafen war nicht so weit entfernt, sodass wir kein Taxi nahmen. Wir kauften stattdessen lieber neues Wasser und Nüsse für unterwegs. Am Flughafen klebte wieder alles, aber das Einchecken ging schnell. Wir sahen Fred wieder, der allerdings woanders hinflog. Wir saßen noch ein wenig zusammen und quatschten, gaben ihm Tipps für Medellin, wo er bald hinfliegen würde. Dann boardete er. Bei uns tat sich nichts. Wir wurden nervös. Es tat sich immer noch nichts, stand aber genauso dran, es kam auch keine Durchsage. Wir fragten nach. Auf Grund des Regens würden wir später starten. Wir kämen vielleicht 13 Uhr an.


Konnte sie die Uhr nicht? War sie verwirrt? Müde? Die eigentliche Ankunftszeit wäre 13:28 Uhr gewesen, wir reisen ja wohl kaum in der Zeit zurück. Wir wurden immer nervöser, da wir ab einem zweiten Flughafen in Medellin einen Anschlussflug haben würden. Sie guckte uns an und ließ eine Frau übersetzen: den würden wir sicher verpassen. Hach wie nett. Es tat sich nichts. Zugegeben regnete es wirklich stark, vermutlich hatte die Maschine nicht landen können. Doch als wir sahen, dass die Passagiere ausstiegen, wurden unsere Boardingpässe noch immer nicht gescannt. Man ließ sich alle Zeit der Welt und wir waren mit die ersten im Flugzeug und saßen jeder in der Mitte, also getrennt voneinander. Wir unterhielten uns über einen jungen Mann neben mir hinweg und fragten dann, ob er den Platz tauschen wolle, woraufhin er sofort einwilligte ;) Ich fragte nochmal beim Boardpersonal nach, wann wir denn gedenken zu starten, denn wir konnten kaum glauben wie langsam die Leute boardeten. Quasi in Zeitlupe liefen sie den Gang entlang um dann erstmal zu schauen, wo sie denn eigentlich sitzen. Wir schauten auf die Uhr, die mittlerweile viel zu schnell vorgerückt war. Als eeendlich alle drin saßen, winkte uns die Stewardess nach vorn. Ich saß plötzlich erste Reihe, Eric hinter mir. Das war ja sehr nett gemeint, aber wir mussten sowieso aufs Gepäck warten. Wir baten sie die andere Airline anzurufen, aber das lehnten sie ab.


Wir starteten mit 58min Verspätung und konnten quasi nur noch beten. Wir waren nervös, knabberten Nüsse, starrten ins Leere, warfen uns Blicke zu. Als wir landeten, standen wir ausnahmsweise als erstes, aber die Tür ging auf, dann wieder zu, dann einen Spalt auf, dann nochmal warten, dann auf. Wir rannten den Gang entlang, doch es gab zwei Schilder zur Gepäckausgabe also mussten wir nochmal warten und jemanden fragen wo wir denn hinmüssten. Dann ging Eric schon auf Taxifahrer-Suche und ich wartete angespannt am Gepäckband, dass unsere Rucksäcke endlich vorbeirollten, was sie dann Gott sei Dank mit als erste taten. Aber wenn man wartet, dauert alles eine Ewigkeit. Eric hatte schon einen jungen Mann gefunden und ihm übersetzt, er solle so schnell fahren, wie er durfte, wir hatten es sehr eilig. Dieser wiederum reckte beruhigend den Daumen nach oben und rannte mit uns zu seinem Taxi - das war Einsatz! Schneidet euch ne Scheibe ab, ihr Stewardessen!


Wir fuhren nach Medellin und innerhalb der Stadt tatsächlich wie der Teufel - hatten wir ja gewollt, um mit einer waghalsigen Drehung kurz vorm Eingang den anderen den Weg abzuschneiden und zu bremsen. Dann gaben wir ihm ein kleines Trinkgeld, er war ganz stolz, wir hatten es echt geschafft 40min vor Abflug da zu sein, hatten die Reisepässe in der Hand, die Rucksäcke fertig verschnürt, rannten rein, direkt auf den Clic-Schalter zu, wo noch drei weitere Reisende anstanden, knallten dann schwer atmend die Reisepässe hin und seufzten erleichtert.


Sie zuckte die Schultern, sagte wir seien sehr spät, wir übersetzten, dass das Flugzeug Verspätung hatte und sie schickte uns zum Serviceschalter gegenüber. In meiner Naivität verstand ich es erst nicht, aber dann dämmerte es. Wir waren nicht sehr, sondern zu spät und sie ließ uns nicht mehr boarden! Die fleißige Leserschaft erinnert sich vielleicht, dass wir vor nicht allzu vielen Tagen im selben Land, an einem anderen Flughafen dafür ausgelacht worden sind kurz vor knapp zu rennen, da das Flugzeug doch noch stehe.


Am Schalter sprach der Mann wenigstens halbwegs gutes Englisch, doch zuckte auch nur bedauernd die Schultern. Da wäre nichts zu machen, Eric ging nochmal zurück, bot an wir rennen und nehmen die Rucksäcke mit rein. Doch die Dame erdreistete sich noch zu übersetzen, dass wir genau wissen, dass wir zu spät seien, sonst wären wir ja nicht reingerannt. Boah, das durfte nicht wahr sein. Und Grünschnäbelchen am Schalter wollte eine Bestätigung für die Verspätung des Fluges. Da wir aber wie die Teufel mit dem Taxi los sind, hatten wir nicht noch Zeit an einem Serviceschalter verschwendet. Anrufen wollte er nicht. Er würde uns auf den morgigen Flug umbuchen, aber wir müssten es selbst zahlen (und wir hatten eh schon viel zu viel bezahlt), wenn wir die Bestätigung nicht bekamen. Wir fühlten uns nach Afrika zurückversetzt, mir kullerten ein paar Tränchen, doch dann waren wir im Katastrophenmodus. Ich schrieb der Airline eine Mail (auf die ich sicher niemals eine Antwort kriegen werde), Eric hing fast 15min in der Warteschleife um mit einem Spätzünder zu telefonieren. Ich schrieb unserem Medellin-Guide Dio, der gerade in Mexiko verweilte, ob er nicht jemand kenne, der uns die Nacht aufnehmen würde, dass wir wenigstens das nicht doppelt zahlen und Eric telefonierte noch immer, als Dio mir die Nummer seines befreundeten Kollegen Juan Camilo schickte.


Eric wurde für seine ruhigen Verhältnisse ungewöhnlich laut bzw. genervt. Erst in 72h würde man uns eine Mail schicken, wir brauchten sie aber jetzt. Wir reichten dem Grünschnabel das Telefon weiter, was er erst echt nicht annehmen wollte, dann brabbelten sie miteinander und er lief so weit hin und her, dass die Verbindung abbrach. Das durfte nicht wahr sein. Nach einer Stunde in dieser stickigen Flughafenhalle meinte er dann schließlich er hole sich noch das okay bei seinem Chef und buche uns dann auf morgen um. Das hätte aber auch schneller gehen können! Aber wir waren erleichtert, dass eine Lösung gefunden worden ist. Unterdessen hatte ich schon Juans Okay und Adresse, wir riefen ein InDrive, fuhren 15min, kamen vor einem der besseren Apartmentkomplexe an und sagten dem Portier, dass wir in die 204 zu Camilo wollen. Er rief an und Camilo wartete auch schon auf uns und entschuldigte sich für die unfassbaren Unannehmlichkeiten, die wir hatten erleben müssen. Wir bedankten und überschwänglich bei ihm und lernten seine beste Freundin, die gerade in Aufbruchstimmung war, sowie seine beiden Katzen, später seine Mitbewohnerin kennen. Er meinte er vertraue Dio (der uns ja auch nur einen halben Tag + ein paar Nachrichten lang kannte) und zeigte uns unser Zimmer. Wir stellten alles ab und waren sofort im Plaudermodus, wobei das vielleicht untertrieben ist. Während des Nachmittags und des Abends - wir gingen noch Burger essen - erzählte uns der 40-jährige Kolumbianer Stück für Stück seine Lebensgeschichte. Die wohl krasseste, die wir je gehört hatten. Ich werde nicht alles wiedergeben, da es sehr privat war, aber einiges erzähle ich euch, denn dagegen leben wir alle im Paradies.

Mit sechs jungen Jahren besuchte er seine Mama, die als Krankenschwester arbeitete, im Krankenhaus, als ein angeschossenes Gangmitglied hereingebracht wurde. Kurz darauf kamen zwei Männer und schossen ihn im Krankenhaus nieder, während sich alle anderen druckten und versteckten. Mit 15 Jahren spielte er mit 9 Kumpels Fußball, als zwei Gangs aufeinander trafen und wild um sich schossen. Als er wegrannte, bemerkte er auf Grund des Adrenalins zunächst gar nicht, dass er zwei Schüsse ins Bein bekommen hatte - sechs seiner Freunde starben. Viel zu früh. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Seine zwei Onkel wurden auf Grund ihres Geldes entführt und ein Jahr gefangen gehalten von Guerilla-Kämpfern. Die Familie verlor beim Lösegeld 70% ihres Vermögens und zog um. Seine Eltern sind getrennt und entgegengesetzter politischer Auffassung. 15 Jahre lang war er Mariuhana abhängig, arbeitet als DJ, erinnert uns stark an Kurt aus Auckland, Neuseeland. Er wurde in den USA ohne Visum festgenommen und musste ein paar Monate ins Gefängnis und hat seit dem kein neues bekommen. Danach war er geschieden. Die zweite Scheidung (immerhin beide im Guten) erfolgte nachdem sie 20.000$ verloren hatten, die sie schon investiert hatten, dann aber dank Covid nicht nach Vancouver, Kanada hatten auswandern können. Juan nimmt sich gerade eine Auszeit, kocht, spaziert, kifft nicht und möchte dann ein neues Projekt angehen. Wir wünschen ihm Alles Gute, er hat es so sehr verdient. Es ist immer krass solchen Schicksalen zu lauschen, aber wir sind sehr dankbar, dass er so offen und ehrlich war. Man merkt ihm an, dass er Probleme hat, einsam ist. Er wiederhol sich oft, lebt aber strukturiert, sodass wir halb zehn kalt duschen konnten (das tat nach dem Tag sooo gut) und uns alle jeweils zurückzogen. Was für ein krasser Tag…


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