Puuh, Erleichterung. Es war in der Nacht nicht ganz so heiß gewesen und durch das Netz blieben wir von den piksenden Plagen verschont. Lüften wollte trotzdem keiner, sodass wir uns nach Sauerstoff sehnten.
Wir liefen deshalb mit Miliza (Betonung auf dem z bitte), der 48-jährigen, serbischen Nomadin in die Gassen hinein. Sie kaufte ein Sandwich in einem Etablissement, bei dem wir erst dachten es sei eine Werkstatt (vielleicht war es auch beides), dann gab es einen Mango-Smoothie für mich und einen wohl schlechten Kaffee für Eric. Zurück an der Unterkunft packten wir alles, was wir nach Deutschland senden wollten, in zwei Plastiktüten. Dies war das geplante zweite & letzte Paket in die Heimat. Unsere Isomatten hatten uns sehr gute Dienste erwiesen, aber werden ab jetzt vorerst nicht mehr gebraucht und da sie viel Platz wegnehmen, aber zu teuer sind um sie einfach wegzugeben, werden sie nach Deutschland geschickt. Und da wir einmal Post aufgaben, packte ich noch zwei 2nd Hand Jäckchen (in meinen Augen wahre Schätze) hinzu, das Bild von meinem Geburtstag, Postkarten (so zahlten wir den Versand nicht auch noch), eine Dose geschmuggelte Muscheln (Drückt den Daumen, dass die ankommen!), die erstandenen Souvenirs, gesammelter Kleinkram und Erics Boulderschuhe.
Hatte ich das eigentlich erzählt? Wir kauften in jedem Land einen Weihnachtsbaumanhänger, meine Ellis sammeln schon lange und bald brauchen sie dank uns zwei Bäume :D Und wir haben uns entschieden nur auf Weltreise auch für uns in jedem Land einen zu holen, manchmal sind es auch Schlüsselanhänger, die umfunktioniert werden müssen ;) Harry, der Besitzer des Homestay hatte einem angeblichen Mitarbeiter von DHL geschrieben, dieser kam auf seinem Moped mit 40min Verspätung. Gemeinsam wogen wir alles und die 4,2kg kosteten laut Liste $87, ähnlich wie aus den USA. Okay. Dann nahm er uns die Plastiktüten aus der Hand und fuhr davon. Auweia. Wir sehen die Sachen doch nie wieder, auch wenn Harry extra ein Beweisfotos von dem jungen Mann mit unseren Tüten in der Hand gemacht hatte. Jetzt hieß es hoffen. Am Nachmittag brachten sie allerdings für 3€ Erics Schuhe zurück. Auf Grund der Marke (sportiva) durften sie diese nicht senden; wir denken um das Verschicken von Fälschungen zu vermeiden. Wir bekamen aber ein Foto des Kartons, in dem nun alles verpackt war.
Noch während ich die letzte Karte geschrieben hatte und wir auf den Postboten gewartet hatten, wollte unser 28-jähriger Host (=Gastgeber) unbedingt ein Video für TikTok drehen, er nervte richtig damit rum, aber ließ uns nicht wirklich eine Wahl. Wir wollten ihm auch den Spaß nicht verderben, aber ich sag euch eins. Ich, nein wir sind zu alt für diesen Mist. TikTok ist mal so was von an uns vorbeigezogen, das ist einfach nicht unser Ding. Der Grund für den gewünschten Videodreh war ein bereits existierendes, welches Harry mit uns nachahmen wollte. Dabei standen westliche Leute (also wir) kurz gekleidet und vor der Sonne ungeschützt herum, dann lief eine Vietnamesin (in unserem Video seine Freundin) an uns vorbei und wir folgten ihr neugierig mit unseren Blicken. Danach sind wir genauso angezogen wie sie, weil wir sie nachahmen, wie sie sich vor der Sonne schützen. Und weil sie Karaoke lieben, hielten wir noch klischeehaft die Mikrofone. Verstanden? Nein, macht nix. Trotzdem Lust (über uns) zu lachen? Dann schaut euch in der Dropbox das Video an :D Es ist übel…und die Musik übel nervig. Nervig wurde auch, wie lange das ganze in Anspruch nahm und wie oft wir es neu drehten. Es fehlte nicht mehr fiel und Eric wäre geplatzt. Denn das ganze war nicht lustig, locker. Nein, die beiden nahmen es voll Ernst und schubsten uns herum wie Marionetten. Erst so stehen, nein doch so. Ach, wir versuchen es mal mit rauslaufen, Tor oben, Tor unten, nein doch an einer Stelle stehen, ein Schritt vor, noch einen nach links…geliehene Sachen anziehen, nein doch nochmal aus, wieder an, wieder aus. Für die paar Sekunden! Mehr bewegen, nein noch mehr, richtig tanzen, nun macht schon…boah! Nur die Höflichkeit hielt uns davon ab ihn anzuschreien und wir waren völlig verschwitzt, als wir endlich fertig waren. Noch mehr störte mich aber, wie er mit uns prahlen wollte, weil wir so hellhäutig sind.
Unser Host hat extrem helle, weiße Haut. Ich erwähnte bereits, dass das hier als vornehm galt und ein Zeichen für Wohlstand ist. Da gefiel es ihm natürlich mit uns, „seinen internationalen Gästen“ gesehen zu werden. Denn wisst ihr was? Als die Serbin fragte, ob wir jetzt ein Video drehen und was für eins, wurde sie einfach gespeist mit den Worten, nein wir seien schon genug Leute und in was für einem Tonfall! Sie durfte aber das Handy halten. Warum? Weil sie super gebräunt ist von all ihren Reisen, was ja eher bei uns als schick gilt, weil es dann zeigt, dass du im Urlaub warst. Verrückte Welt. Vielleicht war sie ihm auch zu alt. Oder beides.
Auf jeden Fall waren wir genervt, auch wenn ich zugebe, dass es natürlich eine unvergessliche witzige Erfahrung ist. Wir zogen uns aber erstmal zurück, denn Eric und ich mussten ALLES aus unseren Rucksäcken räumen, denn wir wollten bzw. mussten dringend unsere kaputten „Bergans“-Rucksäcke reparieren lassen, aus denen das Drahtgestell herausgebrochen war. Die norwegische Herstellerfirma selbst hatte in einem nicht enden wollenden E-Mail-Verkehr den Produktionsfehler bereits zugegeben, bestellt hatten wir aber bei einem anderen Händler und keiner fühlte sich verantwortlich. Es war so nervig.
Hier in dem quirligen Viertel liefen wir umher und als wir eine ältere Dame mit Nähmaschine sahen, zogen wir die Übersetzungsapp raus und verhandelten, dass wir es schon morgen früh holen könnten. Es war erstmal seltsam die teuren Rucksäcke einfach so abzugeben. Suspekt war hier auch die Tierhaltung. Überall hingen Käfige mit Singvögeln. Ich liebe Vögel und sie zu sehen, wie sie alle versuchten aus dem Käfig zu kommen, war zu viel. Daneben stand eine Tonne mit Mehlwürmern, es war schon speziell. Vor der Tür, im Nebengeschäft, lag ein kleiner Welpe in einer Kiste angeleint. Wir waren schockverliebt. Dieses süße, junge Wesen sehnte sich nach Aufmerksamkeit, die wir ihm nur zu gern gewährten (nachdem wir uns bei seinem Besitzer mit einem Kopfnicken haben bestätigen lassen, dass das okay ist).
Bevor unsere Herzen völlig schmolzen, gingen wir gegenüber im hell erleuchteten Friseur fragen, ob sie Zeit hätten meine Haare zu färben und zu schneiden und was das kosten würde. Alle staunten und kicherten über uns. Am witzigsten war wohl, dass ich schwarz wollte, wohingegen sich die Vietnamesen ihre schwarzen Haare braun, grün oder rosa blond färbten :D Dann kam eine Preisliste und man konnte aus verschiedenen Kategorien wählen. Eric sagte: „Einfach das Beste.“, weil wir dachten es handle sich um die Qualität der Haarfarbe. Aber scheinbar hatten wir ein VIP-Paket gebucht, denn es wuselten immer mehrere Leute um mich herum, die färbten, wuschen, einer schnitt, zwei föhnten, zwei sprayten…ui ui ui. So viel Aufmerksamkeit für quasi Spitzen schneiden und Schnitt reinbringen. Am Anfang fühlte ich mich noch wie eine Prinzessin, am Ende wie eine Marionette.
Englisch konnte niemand. Das ist echt das erste Land, wo wir uns so gar nicht verständigen konnten und nur mit Lächeln, Zeigen und Handy kommunizierten. Statt der genannten 1h dauerte es doppelt so lang. Es war das erste Mal, dass mir ein Friseur die Haare färbte und im Anschluss riefen alle „Selfie, Selfie!“. Meine Haare wurden gelegt, gedreht, gesprayt, Strähne hierhin, dahin, alle kamen einzeln an meine Seite. Eric war zwischendurch Sandwichs holen, die nun kalt wurden. Er wusste auch nicht, ob er lachen oder entsetzt schauen sollte. Mein Magen knurrte. Dann wurde sogar ein kurzes Video gedreht und mein Lächeln geriet ins Wanken. Das war sauanstrengend und für mich langsam hochgradig unangenehm. Ich sollte lächeln, nein mit Zähnen, auch mal durchs Haar fahren, nochmal, ach lieber nochmal Spray. Auf ein Neues. Ich war kurz davor „Stopp!“ zu schreien, als die Tortur vorbei war und wir unsere 1.200.000 vietnamesische Dong zahlen konnte.
Ich meine im Ernst, wer zahlte denn hier wen für den Service? Also beim nächsten Mal reagieren wir taffer. Da nehme ich keine Rücksicht auf Gefühle & Gepflogenheiten, ich wollte hier nur noch weg. Im Anschluss fanden wir die Fotos mit mir bei Facebook/ Instagram, teilweise mit Musik unterlegt, einmal stand darüber (sinnhaftig übersetzt) „das erste Mal den Westen verschönert“. Datenschutz Fehlanzeige, deshalb auch hier für euch :D
Schlimm für mich war aber auch, wie ich neben den zierlichen Asiatinnen aussah und aus welch unvorteilhaften Winkel ich fotografiert worden bin. Hallo Doppelkinn, wie gefällt es dir in meinem Gesicht? Und was ist eigentlich mit meinen Oberarmen passiert? Auf jeden Fall war mir das eine Lehre nie mehr ohne Mascara aus dem Haus zu gehen! Puuh…Nun gut. Im Homestay zurück atmeten wir erstmal tief durch, verschlangen hungrig unsere nun laschen Sandwichs und zogen wieder los. Meliza wäre gern mitgekommen, aber war zu erschöpft und so fuhren wir allein mit dem Bus zurück nach Hanoi. Auf Couchsurfing hatte ich zum ersten Mal nach Events gesucht und die Vietnamesin Thao gefunden, die jeden Samstag kostenlos eine kulturelle und geschichtliche Einführung zu Vietnam gibt. Wir waren viel zu spät dran, stiegen dann auch noch zu früh aus und mussten auf den nächsten Bus warten. Der wollte, dass wir ein neues Ticket kauften, obwohl wir gerade erst in dem Bus davor eins erworben hatten. Am Ende gab er auf, weil er nicht wechseln konnte ;)
Wir trafen die anderen, die Gott sei Dank selbst stark verspätet erst vor 5min begonnen hatten, an der zweiten Gleisstraße in einem Café. Den vorbeiziehenden Zug hatten wir um 5min verpasst. Sei`s drum. Wir bestellten kleine Hanoi-Rollen und Getränke und freuten uns über die Runde. Mit uns waren zwei befreundete Mexikaner hier, die seit 4&6 Jahren hier lebten und Englisch unterrichten (eigentlich auch witzig…) und einer ihrer Reisekumpel aus Indonesien. Und kurz drauf stieß ein Amerikaner aus Kalifornien dazu. Da es heute eh schon viel zu erzählen gibt, kann ich euch jetzt unmöglich alles wiedergeben. Aber es sei euch versichert, dass es interessant war, ein toller, interkultureller Austausch und wir viele neue Dinge erfuhren. Es wurde gelacht, aber auch andächtig geschwiegen, mal waren wir ernst und lauschten andächtig, mal quasselten alle durcheinander. Das, was am meisten im Gedächtnis geblieben ist:
In vielen Schulen ist es immer noch üblich, dass Lehrer das (Fehl-) Verhalten der Schüler filmen und den Eltern zeigen. Oups.
Die Vietnamesen haben ein sehr schwieriges Verhältnis zu China und seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine verstärkt Angst. Und das denken wir ja oft von Taiwan.
Es gibt den Begriff der sogenannten „rice camera“ (Reiskamera), wobei der Reis für die Menschen in Vietnam steht, weil sie viel Reis essen und die Kamera dafür, dass alle alle beobachten. Sollten sie etwas beobachten, was der Gemeinschaft schaden könnte, was suspekt wirkt, dann greifen sie zur Kamera und filmen es. Diese gegenseitige „Spionage“ und das „Vorsicht-walten-lassen“ erinnerte mich ein bisschen an die Stasi aus den Geschichtsbüchern. Vielleicht war die aufgebrachte Neuseeländerin ursprünglich aus Vietnam gewesen? :D
Vietnam ist wohl weltweit am besten durch die Pandemie gekommen, weil das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft viele Erinnerungen an verschiedene Kriege hat und die Regierung kennt ihre Bürger und nutzte dies um alle gegen den Feind „Coronavirus“ zu mobilisieren.
Als sich die Runde langsam auflöste, kam der Vorschlag noch zusammen mexikanisch essen zu gehen. Eric und ich waren hin und hergerissen. Wir waren eigentlich 19:30 Uhr verabredet. Harrys bester Freund, den wir am ersten Tag getroffen hatten, hatte uns zu einem Barbecue eingeladen und wollte uns abholen kommen. Die Serbin war wieder nicht eingeladen; ich wollte niemandes Schmuckstück für Instagram werden nur weil ich weiß war. Im schlimmsten Fall gehörte Karaoke dazu und Eric wollte wirklich überhaupt nicht singen. Wir hatten die Einladung angenommen um etwas zu erleben, aber mit dieser Runde hier fühlten wir uns so gut! Eric schwankte, wir können doch nicht einfach absagen. Aber ich entschied: doch, mit einer kleinen Notlüge können wir. Sie hatten uns am ersten Abend auch abgesagt und wir würden sie nie wiedersehen. Ich meine, kommt schon. Ein bisschen rassistisch waren sie schon und taten hier auf super toll. Aber sorry Leute. Das klingt jetzt hochnäsig, ist aber die Realität: für uns waren sie trotzdem nur kleine Würmchen. Auch wenn sie hier vielleicht einen gewissen Status genossen. Und wir sind zu alt um uns zu verbiegen, das hier ist unsere Reise und wir wollen gute Momente erleben. Wir beide hatten ein mulmiges Gefühl bei dem Barbecue, man muss auch auf sein Herz & Bauch hören (der sich sowieso grad mehr auf mexikanisch freute). Die anderen ließen uns Zeit zu entscheiden, aber als dann auch noch eine Fahrt je hinten auf dem Motorrad lockte, war die Entscheidung getroffen. Ohne Helm, oh oh, ging es durch das abendliche Gewusel. Gestern hatte ich noch gesagt, wie cool es wäre hier mal durch die beleuchtete Stadt zu cruisen und ein Video zu machen, zack. Hier saß ich nun strahlend hinter Samantha und Eric wurde auch lockerer. Am Ende. Als wir parkten ;) Die Videos findet ihr wieder in der Dropbox, die sind echt gut :)
Wir aßen am See in einem Lokal, das einem befreundeten Mexikaner gehörte. Wir verstanden sogar ein bisschen was von ihrer Konversation. Wir folgten den Ratschlägen, probierten zum ersten Mal tamales (Teigtaschen) und danach gab es Tacos. Echt lecker. Es waren nur wir fünf; Thao und der Amerikaner Aron hatten leider schon Pläne. Wir lachten und lachten, wurden zu allen nach Hause eingeladen…wir werden sehen. Die beiden in Hanoi lebenden Mexikaner wollen wir auf jeden Fall nochmal sehen, die Einladung nach Indonesien wird noch etwas warten müssen :) Sie fanden wir seien ein mega tolles, witziges Paar. Das finden wir auch ;) Dann halfen sie uns ein Taxi zu rufen, was uns die 35min zurück fuhr. Mit Bus hätten wir dreimal so lange gebraucht und das Taxi kostete nicht mal ganz 8€. An der Unterkunft war es Gott sei Dank still und nach einer schnellen Dusche fielen wir in die Betten. Was für ein Tag!
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