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einjahrblau

Tag 265: Kulturschock während des Vesakh-Festivals in Nepal

Während wir gestern Abend eingemummelt in Kuschelsocken und unsere Daunenjacken dagesessen hatten, schien jetzt die Sonne mit voller Kraft in unser Zimmer. Ewig im Bett schlummern konnten wir sowieso nicht, weil Urken kommen und mit uns den Permit beantragen wollte. Wir zogen uns also an und gingen nach unten und warteten. Und warteten. Und warteten noch länger. Am Ende warteten wir fast 2h; die berühmt berüchtigte deutsche Pünktlichkeit ist eben kein weltweit verbreitetes Phänomen. Wir bestellten also in der Zeit zwei Frühstücksbowls, waren aber nicht die größten Fans des Beeren-Haferschleims. Immerhin sättigte es. Eric lief dann einfach schonmal ums Eck eine kleine Gasse entlang und wollte ein paar Punkte unserer endlosen To-Do-List erledigen und die Zeit sinnvoll nutzen. Ich blieb im Hostel, falls Urken auftauchte und brachte unseren Blog voran - sinnvolle Arbeitsteilung sozusagen.

Eric und Urken kamen quasi gleichzeitig am Hostel an; Eric stolz mit einer Tüte voll Medikamente, Sonnencreme & Sim Cards (für die er sogar die Visa-Nr. gebraucht hatte). Urken hingegen mit der Nachricht, dass wir nicht schon morgen starten könnten, denn heute sei Feiertag (dazu später mehr) und morgen Samstag - und das sei ähnlich wie unser Sonntag. Wir redeten zwar schon seit Wochen von diesen Daten, aber okay. Uns brachte das jetzt nicht völlig aus dem Konzept, wir mussten dann nur im Hostel verlängern. Natürlich war unser Zimmer nicht mehr frei und so entschieden wir uns das preiswerteste Zimmer für die zusätzlichen zwei Nächte im 12er Dorm zu buchen. Weil 8er oder 10er…so groß war der Unterschied dann nicht mehr.

Dann stiefelten wir los.

Der liebe Urken scheint ein wenig verpeilt zu sein und wir trotteten ihm einfach hinterher. Einige Gassen und Wege war Eric heute schon gelaufen, aber wie heißt es so schön? Wiederholung festigt. Erster Stopp war ein winziges Brillengeschäft und ich sollte geduldig lauter Modelle probieren. Urken redete auf nepalesisch auf die junge Dame ein, sie ploppte die Brillengläser aus meiner kaputten Sonnenbrille und hielt sie an die neue. Das war die Idee meiner Schwester (gelernte Optikermeisterin) gewesen: meine Brille ist nicht mehr reparabel, aber die Gläser mit Stärke könne man in eine neue Fassung einschleifen. Und wir fanden eine dunkelbraune Fassung mit sehr ähnlicher Form, die Verkäuferin schien optimistisch, wir zahlten 5.000 nepalesische Rupien an und ließen die Brille da. Jupp…neues Land, neue Zeitzone, neue Währung, neue Sprache. Das ist doch mal wieder was :) Aber für gesamt 11€ bekam ich eine brauchbare Übergangsbrille und war sehr erleichtert. Ab heute Abend könne ich sie holen.


Dann bogen wir ins Gewusel ein. Halleluja, hier war was los! Ein Geschäft reihte sich ans andere, aber wir flohen erstmal in die Ruhe des 14summits-Büro. Dies war eine nepalesisch-tschechische Reiseagentur über die Urken arbeitete, da man immer ein Unternehmen brauchte. Wir sollten die Reisepässe dalassen, das hassen wir ja, aber uns wurde versichert, dass sie hier sicher seien, ich machte Fotos, wir googelten schonmal die deutsche Botschaft und was anderes blieb uns eh nicht übrig, da sie ihn brauchten um alle permits zu beantragen. Wir gingen auf die Dachterrasse und bestellten ein günstiges Gericht (gebratenen Reis) und brutzelten in der Sonne. Es war jetzt affenheiß. Ich hätte nie gedacht, dass wir hier so ins Schwitzen kamen und ich hatte ja im Moment keine Sonnenbrille. Ich zog mich in den Schatten in einen Schaukelstuhl zurück und ließ die Männer über Berge & Routen fachsimpeln. Das Essen dauerte eine Weile und wir schmolzen dahin. Warum genau wir fast eine Stunde warteten um nochmal ins Büro zwei Etagen tiefer zu gehe, verstanden wir nicht, aber das spielte wohl auch keine Rolle :D Gegen 15 Uhr zogen wir dann mit Urkens „Schutz“ durch die Läden. Er wimmelte alle ab und handelte die Preise runter. Wir sollten noch merken, dass es ohne ihn nicht so einfach werden sollte. Wir kauften mir für 5.60€ blaue Trekking-Stöcke. Leihen wäre teurer gewesen. Ein rotes Paar hatte Urken, das bekam Eric. Wir schauten nach dicken Jacken, aber wollten da morgen nochmal allein losziehen, da es schon komisch war, wir Urken mit einem abwesenden Lächeln und verschränkten Armen nicht von unserer Seite wich :D Er hatte uns hier in irgendeine versteckte, preiswerte Hinterkammer, zwei Stockwerke nach oben, geführt. So ein „Geschäft“ hatten wir noch nie gesehen, aber es tat seinen Zweck. Wir sind uns sicher, dass hier fast 100% Fälschungen sind, aber dafür kam alles auch nur einen lächerlichen Bruchteil als in Europa. Manche waren gut gemacht, andere stimmten schon beim Namen nicht ;D

Und es ging nur darum die richtige, sinnvolle und v.a. warme Ausstattung für unser Trekking zu finden. Das mussten keine lebenslangen Investitionen werden, aber bei 9 Monaten vorab reisen im Sommer hatten wir nicht schon alles mitnehmen können. Irgendwann gaben wir ihm ein Zeichen, dass es reiche und er rief ein Taxi. Diese kleinen eckigen Autos boten für uns kaum ausreichend Platz, aber wir wurden von der chaotischen Welt Kathmandus, die an unseren Fenstern vorbeizog, abgelenkt.

Heute war das Vesakh-Festival. Die Nepalesen feierten die Geburt Buddhas und deshalb hatten wir den Flug so gebucht, dass wir das Spektakel mit erlebten. Aus diesem Grund wollten wir auch den Kleiderkauf auf morgen verschieben.

Wir fuhren zum buddhistischen Tempel Swayambhu Stupa. Das war der, der uns abends vom Dach aus angeleuchtet hatte. Überall waren Menschen, viele davon in festlichen Kleidern herausgeputzt, sie zündeten Kerzen an, ließen sich segnen und natürlich gab es auch genug Selfies an jeder Ecke vor den prächtigen Buddha-Statuen oder vor den herumlaufenden Äffchen, die ich schon aus Indoniesen kannte. Wir sahen ein ganz kleines, welches gerade an der Mutter trank. Richtig niedlich, wenn da nicht der Umstand war, dass sie im Müll & Essensresten der Menschen lebten.

Wir liefen eine sehr, sehr, sehr lange Treppe nach oben und konnten nicht nur auf die Stadt unter uns und das Bergpanorama dahinter blicken, sondern auch die für Nepal so typischen Gebetsfähnchen vor den Kuppel bestaunen.

  • jede Farbe hatte eine andere Bedeutung, erklärte mir Urken

  • Blau: der Himmel

  • Gelb: das Element Erde

  • Grün wie Gras: für Wasser

  • Rot: das Element Feuer

  • Weiß: die Luft

  • Allerdings findet man im Internet z.T. andere Angaben :) Deshalb kann ich dazu nicht viel sagen. Vielleicht hat er was durcheinander gebracht.

  • Teilweise findet man auch Angaben zu Emotionen (Stolz, Zorn, Begierde…)


Uns gelangen wirklich richtig tolle Bilder, aber die Menschenmassen und das ständig in der Hitze Angerempeltwerden, strengte nicht nur uns an, sondern schien auch Urken wenig zu gefallen. Er fühlte sich sichtlich unwohl und wir hakten nach: ja, in den Bergen fühle er sich viel wohler. Über Bräuche, wie Münzen werfen, damit es Glück brachte, schmunzelte er. Aber die Gebetsrollen drehte er sehr gewissenhaft. Selbst die vor dem Hostel. Die bringen nämlich auch Glück. Na da, da drehten wir doch eine Runde mit und sobald ich hinterherkomme, findet ihr auch bald in der Dropbox ein Video einer riesigen XXL-Gebetsrolle und wie wir drum herum laufen. Das bringt sicher extra viel Glück ;) Eric und ich waren gefangen in einer Mischung aus Faszination und Entsetzen und dies war definitiv der erste richtige Kulturschock. Dagegen war der Trubel in Hanoi ja ein Klacks.

Auf den Treppenstufen saßen auch Mütter mit ihren Kleinkindern und alte, zahnlose Menschen und alle streckten die Hand nach Geld aus. Die Kinder rannten uns aufdringlich hinterher, zupften teilweise an unseren Sachen und sagten in sehr ernstem bösen Tonfall: „Give me money“!“ (Gib mir Geld!) Als Eric zu einem sagte: „No.“ guckte der ganz verdutzt. Urken hatte uns vorher aufgeklärt, dass wir kein Geld geben sollten. Es war hier ähnlich wie in Vietnam, sie gingen dann nicht arbeiten bzw. zur Schule, sondern lernten auch so an Geld zu kommen. Denn leider gab es hier ebenfalls keine Schulpflicht, wie auch in Thailand & Vietnam war Kinderarbeit an der Tagesordnung und viele gingen (wenn überhaupt) nur 3-4 Jahre in die Schule.

Außerdem hatten wir keine kleinen Scheine und wo fängt man da an? Natürlich wollen wir gern alle retten, aber das konnten wir gar nicht, das gab unser Sparbuch gar nicht her und mitten im Gedränge zücken wir auch nicht unser Portemonnaie. Ich wünsche mir, dass da viel mehr von Regierungsseite bzw. mit internationaler Hilfe in die bessere Richtung entwickelt werden würde. Denn wir konnten sie nicht retten und so wie die Jungen einen hier anfauchten, sowieso nicht.


Wir liefen noch eine Runde um goldfarbene Buddhastatuen (ja, für so was war Geld da) und sprangen dann in einen vorbeifahrenden Bus. Puuh. Das war geschafft. Der Bus war wesentlich preiswerter als ein Taxi (wie überall) und füllte sich zunehmend. Ich wurde ans Fenster gepresst, denn Eric wurde von den Hintern, Bäuchen und Busen der nepalesischen Welt immer weiter in den Sitz gedrängt. Ich musste so lachen; sein Gesicht zeigte blankes Entsetzen und die Frau, deren Oberweite halb auf Erics Kopf ruhte, erfreute sich an meinen ganzen kleinen Mucks (so nennen wir in der Familie die kleinen Leberflecke auf meinen Armen). Sie meinte ich hätte so viele. Das hatte mir in Thailand auch schon eine gesagt; tja, ich habe eben mein eigenes Sternzeichen-System auf den Armen :D

Wir fühlten uns als fuhren wir ewig im Kreis, Urken schlief vor uns und wir hofften, er wisse wann und wo wir aussteigen mussten. Er wollte nämlich noch mit uns zur Pagode, dem wohl größten buddhistischen Tempel Nepals. Der Bus-Mitarbeiter, der an der offenen Tür stand, klopfte permanent, das Klopfen drang schon in unser Unterbewusstsein ein. Wir vermuten er klopfte dem Fahrer zu, wenn jemand ein- oder aussteigen wollte und klopfte anders, um mögliche Kunden auf sich aufmerksam zu machen. Als wir eeendlich, nachdem wir halb Kathmandu durchfahren hatten, aussteigen wollten, quetschte mich ein Mann ein. Eric & Urken standen schon auf dem Gehweg, der Bus fuhr langsam weiter, ich schubste und drängelte und der Mitarbeiter an der offenen Tür half mir mich an dem dicken Mann vorbeizuziehen, sodass ich noch mit raushüpfen konnte und hier war nun das Gedränge & sichtbare Elend noch größer. Viele saßen an der Seite, im Rollstuhl (wer Glück hatte), mit Beinstümpfen, mit Behinderungen oder erblindet. Wie überall auf der Welt gingen hier reich und arm Hand in Hand.


Wir liefen eine Runde um die Pagode, atmeten sehr viel (wirklich sehr viel) Räucherduft ein, drehten erschöpft die Gebetsrollen und als Urken sich erkundigte, ob wir noch eine Runde laufen wollten, rief Eric aus: „NO!!!“ (Nein.) und fügte dann ruhiger hinzu, dass eine Runde völlig reiche. Wir tranken noch einen Pfirsich-Tee zusammen und dann rief uns Urken über die inDrive App (ja, auch wieder neu) ein Taxi zurück zum Hostel. Gott, was waren wir erleichtert. Urken verhandelte mit dem Fahrer nochmal nach und am Ende zahlten wir sogar noch weniger, weil die hier echt alle super schlecht rechnen können...

Als das Taxi vorm Hostel hielt, wir noch die Scheine abzählten, kam sofort die Security, öffnete die Tür und fragte, ob alles okay sei. Wow, sehr aufmerksam, doch wir konnten ihn beruhigen. Alles war gut und er half mir beim Aussteigen. Hach, zuvorkommend sind sie. Wir duschten uns den Staub der Stadt ab - das Foto mit Erics Brille zeigt euch wie viel hier herumwirbelt und an uns kleben blieb, teilten uns einen Falafel-Wrap begleitet von einer lärmenden Band und freuten uns dann über die Ruhe unseres Einzelzimmers. Was für ein Tag! So viele Eindrücke…ouf.


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